Zu Gast im Thomasius Club: Wilhelm Schmid (rechts: Ulrich Johannes Schneider)
Zu Gast im Thomasius Club: Wilhelm Schmid (rechts: Ulrich Johannes Schneider)
Zu Gast im Thomasius Club: Helwig Schmidt-Glintzer (rechts: Ulrich Johannes Schneider)
Zu Gast im Thomasius Club: Helwig Schmidt-Glintzer (rechts: Ulrich Johannes Schneider)
Tom, Magali, Betti
(Vive l’amour zwischen Deutschland und Frankreich! - Ein Text aus Weinlaune und Midlifecrisis aus dem Weimar-Sommer 2000)
Die ganze Wahrheit über die Wahrheit des Ganzen – oder: Die Überwindung der Nachhaltigkeit
(Eventuelle Übereinstimmungen dieses Gesamtkunstwerkes mit Thesen oder Stilmomenten realer Strömungen sowie philosophischer Figuren, z.B. Zarathustra, sind rein zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt gewesen ;-)
Warum die Dummheit der Menschen grenzenlos ist.
Als Androgyne endlich weise war, verlor es seinen Glauben an die Rettung der Welt (El Gore, Greenpeace, Atack, Obama …) und ging in die Berge. Dort lebte es allein in aller Stille und Einsamkeit – eins mit sich und der Umwelt. Doch irgendwann langweilte es sich, denn es hatte den Sinn von allem erkannt und was die Welt im Innersten zusammenhält wie Goethes ‚Faust’ durchschaut. Alle Rätsel waren gelöst.
            Nun sehnte es sich danach, seine Kenntnisse mitzuteilen und stiegt vom Berg herab zu den Menschen. Unterwegs begegnete es einem alten Eremiten, der noch immer Lieder von der Schönheit der Natur, von Gerechtigkeit, Liebe und Umweltschutz sang.
            Androgyne fragte den singenden Alten: „Warum lobst du die Natur und huldigst der Humanität? Siehst du nicht, dass alle alten Werte überwunden werden müssen; dass Umweltschutz, Gerechtigkeit, Liebe und Nachhaltigkeit überwunden werden müssen?
            Der Eremit antwortet: „Wieso? Die Natur ist doch von Gott erschaffen und demzufolge göttlich. Gott ist in allem. Er gibt den Menschen Sinn, Liebe und einen Halt, damit es lohnt, für die Zukunft zu leben. Letztlich bestimmt Gott das Schicksal der Menschheit und der Natur. Alles ist göttlich. Das sieht man an den großen Kulturen, die die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte zustande gebracht haben, an ihren Institutionen und Erfindungen. Am besten aber sieht man es in der Idee des Staates, der Tauschverhältnisse und der naturbeherrschenden Technik unserer Zeit. Die Natur ist ohne den Menschen nichts. Nur durch den Menschen gibt es etwas in der Welt. Nur der Mensch ist frei und kann sich seine Welt erfinden.“
            Androgyne schüttelte ungläubig den Kopf und ging weiter ins Tal hinab zu den Menschen, um ihr bisheriges Denken zu erschüttern. Es musste zu drastischeren Mitteln gegen die Dummheit der Menschen angehen. Es musste mit dem Hammer philosophieren und mit Nietzsche Nietzsches Denken überholen, ohne es zu einzuholen (Walter Ulbricht).
Weil der Weg aus den Bergen zu den Menschen sehr lang und beschwerlich ist, wir den Leser aber nicht langweilen wollen, bietet sich an dieser Stelle an, einige Thesen zu nennen, die die übermenschliche Inkarnation der dialektischen Synthese von männlich und weiblich in Gestalt des Androgyne den Menschen mit auf den Weg geben will:
Die das rational-aufklärerische Denken, das mit Sokrates in die Welt kam und durch Kant seinen Höhepunkt und mit Adorno und Horckheimer auch seinen vorläufigen dialektisch-versöhnlerischen Höhepunkt gefunden hat (Dialektik der Aufklärung) muss nicht nur idealistisch und ideologisch überwunden werden (Fichte, Schelling, Hegel, Marx…), sondern muss radikal marginalisiert werden. Es darf nicht länger von einem absolut freien Wesen (Älteste Systemprogramm des Dt. Idealismus) ausgegangen werden, sondern von einem absolut freien Denken. Dieses freie Denken macht sich nicht nur von allen Vorbedingungen frei, sondern muss auch die gesellschaftlichen Bedingungen seines Entstandenseins zerschlagen. Das heißt, alle Institutionen und Strukturen, die die bisherigen Kulturen hervorgebracht und zivilisiert haben (Statt, Religion, Moral, Recht, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Geschichte, Ökonomie…) sind zu zerschlagen (tabula rasa!). Erst die Zerschlagung bildet die Voraussetzung für eine wirklich neue ethisch-ästhetische Lebensform. Deren Hauptkriterium soll sein, sich als Menschheit radikal neu zu entwerfen und die alte Frage nach einem möglichst langen Überleben des Menschen auf dem Planeten und im All (Nachhaltigkeitsdebatte) mit Pathos, Ethos und Logos in denkerisch-dichterischer Union zu wagen. Die Frage des 21. Jahrhunderts ist nämlich nicht nur eine danach, wie die Menschheit überleben kann, sondern wie sie das Leben mit Sinnhaftigkeit und gestalten kann, damit sie des Wortes Humanität würdig wird. Das heißt es geht um die Umkehrung der Brechtschen Paradigmas: Erst kommt das Fressen und dann die Moral. Die Katastrophe der Kultur, die sich im Moment als eine Katastrophe der Natur darstellt, ist also weniger eine, die durch vermeintliche ökonomische Kausalitäten des Marktes und spekulativer Fiskalpolitik herbeigeführt ist, als dass sie durch eine mangelnde ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts verursacht ist. Diese mangelnde Ästhetisierung des Menschen führte nicht zuletzt zur Trennung von weiblicher und männlicher Denk- und Lebensweise, sondern auch zur Differenzierung von gut und böse, richtig und falsch…
            Die Unbrauchbarkeit des Begriffes der Nachhaltigkeit zeigt sich dabei vor allem darin, dass sein Gebrauch inflationär und für gegensätzliche Intentionen herhalten muss. Insbesondere entspringt er einem christlichen Schulddenken, das dringend zu überwinden ist. Man könnte sagen, dass die Schuld die Mutter der Nachhaltigkeit ist, denn es entspringt einer Heuristik der Furcht, wenn die Menschheit Schuld empfindet gegenüber dem Raubbau an der Natur, wenn sie der nächsten Generation eine belebbare Welt hinterlassen will, wenn sie Techniken entwickelt, die ökologischer sind, wenn sie Verfahren entwickelt, die Menschen gerechter und gleicher behandelt, wenn sie kraftlos geworden ist und die schöne Seele sich an das schlechte Gewissen verloren hat.
            Deswegen braucht es eine radikale Ästhetisierung der Welt! Diese entspringt einer anderen Denklogik und neuen Kommunikationsformen. Statt der Natur permanent den Rhythmus menschlicher Bedürfnisse aufzupressen, soll ab sofort die Natur dem Menschen ihren Rhythmus vorgeben. Gefordert ist eine radikale Anpassung an die Dynamiken von Entstehung, Entwicklung und Vergehen. Schluss mit der Herrschaft des Menschen über die Natur! Möge vielmehr die rauschhafte Musik der Natur dem Menschen zum Tanzen aufspielen! Weiter als der Mensch reicht die Natur. Der Mensch kann sterben, aber nicht die Welt. Die Welt muss ästhetisiert werden. Sie muss im wörtlichen Sinne in jedem Augenblick neu wahrgenommen und erfunden werden! In dieser Ästhetisierung der Natur besteht die wirkliche Aufgabe des Denkens. Denn nur eine vom Menschen ästhetisierte Natur, in die der Mensch sich selbst einschmiegt, kann der Motor dieser im 21. Jahrhundert einzig noch möglichen Metaphysik sein. Mit ihr wird Metaphysik nicht nur fröhliche Wissenschaft (Nietzsche), sondern Fundamentalästhetik. Oberstes Kriterium ist dabei die Gelassenheit als einer nicht nur wahrnehmenden Beobachtung und Nachahmung bei der Einpassung, sondern eine zutiefst leidenschaftliche Aufnahme der Um- und Mitwelt. Es ergibt sich ein Satyr-Tanz der schönen Seele mit sich selbst und seiner Umwelt.
            Somit ergibt sich die Skizze einer vollkommen ästhetischen Ethik als Ästhetik der Ek-sistenz vor dem Hintergrund des Ganzen der Seinsgeschichte (Heidegger).
            Konkret gesprochen ergeben sich folgende Forderungen:
§ 1 Die Kategorien gut und böse werden abgeschafft (Überwindung des abendländischen Denktradition von den Vorsokratikern über das Christentum, Hegel, Nietzsche bis Adorno…)
§ 2 Wahr, gut und schön werden wieder in eine Einheit überführt, deren oberstes Kriterium die physiologischen und psychologischen Triebe als Motor menschlicher Leidenschaftlichkeit und Sehnsucht bilden.
§ 3 Ernstmachen mit Kants Appell an den Menschen, seine selbstverschuldete Unmündigkeit zu beenden, d.h. Abschaffung von Schulen und Universitäten und Rückkehr zu allseitigen humanistischen Bildung in einem individuellen Lehrer-Schüler-Verhältnis bzw. in der Gemeinschaft Gleichgesinnter.
§ 4 Verwirklichung des Programms der ästhetischen Briefe von Schiller: d.h. nachts trinken, tagsüber selbbestimmt und unentfremdet arbeiten; bei entfremdeter Arbeit: Legalisierung von Drogen.
§ 5 Abschaffung der Ernsthaftigkeit: stattdessen: Lachen, Spielen, Philosophieren
§ 6 Abschaffung der Geldspekulation, des Geldes, der Zahl und der Schriftsprache zugunsten der Verlebendigung der face-a-face-Kommunikation
§ 7 Abschaffung des Staates und Einführung des ästhetischen Nomadentums
§ 8 Überwindung der Seele und Ästhetisierung aller menschlicher Körper (Abschaffung von Kleidung) – Aktion: alle Körper sind schön!
usw.
Warum wir die Weisheit mit Löffeln gefressen haben!
Als Androgyne nach seiner langen Wanderung endlich im Tal angekommen war, sah es einen Seiltänzer auf dem Marktplatz zwischen zwei Häusern auf einer gespannten Leine balancieren. Die Menschen beschimpften den Seiltänzer und lachten ihn aus.
            Und also sprach Androgyne: „Habt ihr nicht verstanden, dass der wahre Humanist immer Seiltänzer sein muss? Auf dem Weg der Freiheit gibt es keine Sicherheit. Nehmt ihn euch vielmehr zum Vorbild. Erwartet also keine Sicherheit, Stabilität oder festen Halt im Leben. Freiheit heißt, sich in Gefahr zu begeben, Risiken einzugehen, ungewohnte Pfade einschlagen, mit Leidenschaft und Unvernunft die Lebensparabel bis aufs Äußerste aufspannen, das Gewissen-haben ästhetisch überwinden. Die neue „Ästh-ethik“ lehrt euch die Bewunderung des Seiltänzers. Ohne Schönheit ist alles nichts, mit ihr aber ist alles sinnvoll.
            Die Frage unserer Zeit ist deshalb: Was für ein Seiltänzer will die Menschheit sein? Das Motto des 21. Jahrhundert lautet: Lasst uns blind auf gespaltenen Haaren tanzen!


Back to Top